Flurnamen im Nordquartier
Bearbeitet von Dr. Roland Hofer, Sprachexperte an der Forschungsstelle für Namenkunde, Universität Bern
Aargauerstalden: Schwzd. Stalde(n) m. ‹ansteigende Stelle im Gelände, steiler Abhang, ansteigender Weg› (Id. XI, 335ff.). Nach 1750 überschütteter Sandsteinbruch; steile Ausfallstrasse Richtung Aargau; frühere Name: Neuenweg oder Äusserer Stalden
Altenberg: Früheste Belege: 1348 ager situs trans Arulum in Antiquo monte (FRB VII, 311, Nr. 325), 1351 ze Berne enont der Are in dem Altenberg (FRB VII, 590, Nr. 621), 1385 vnder unsren reben in dem Altenberge (Huber 1931: 74). Das Grundwort ist schwzd. Bärg, hier wohl im Sinn von ‹Rebberg, Weinberg› (Id. IV, 550ff.). Das Bestimmungswort ist entweder ein althochdeutscher Personenname Alto (Förstemann I, 56), womit der Flurname ‹der Rebberg des Alto› bedeuten würde, oder das Adj. alt, also ‹alter, evtl. nicht mehr genutzter Rebberg› (Id. I, 203ff.; BENB I/1, 25).
Aquarium: eher abschätzig gemeinter Uebername für die Gewerbeschule an der Lorrainestrasse, wohl wegen ihrer grünblauen Färbung und der grosszügigen Befensterung
Beundenfeld: Schwzd. Büüne, Bünt, Bünde f. von der Allmend durch Einzäunung abgeschlossenes, privat genutztes, besonders ertragreiches Grundstück meist in der Nähe der Häuser; eingezäuntes und gedüngtes Stück Ackerland› (Id. IV, 1321, 1401ff.; BENB I/4, 714ff.).
Breitenrain: Schwzd. Rein m. ‹lang gestreckter Abhang, steiler und weniger breit als eine Halde, aber weniger steil und breiter als ein Bort› (Id. VI, 979).
Breitsch: im Volksmund für Breitenrain, früher Breiter Rain
Breitfeld: Erstbeleg: 1354 uffen dem breitfelt (FRB VIII, 65, Nr. 155). Zum Adj. schwzd. breit ‹breit, ausgedehnt, gross› (Id. V, 917ff.; BENB I/4, 539ff.), also ‹grosses, ausgedehntes Feld›.
Falschmünzlerhöhle: Höhle in der Nagelfluh im Wylerholz; Gerücht, darin habe einst ein Falschmünzler gewirkt
Fuchseler: Weg quer durchs Wylerholz, wohl nach einem Fuchsbau benannt
Galgenfeld: ehemalige Richtstätte („untenaus“)
Goleten: Erstbeleg: 1347 in der Golatten (FRB VII, 288, Nr. 296). Suffixableitung mit dem Kollektivsuffix schwzd. -ete zum Wort schwzd. Gool, Goll ‹grober Steinschutt›, also Golete ‹Steinhaufen, Geröllhalde› (Id. II, 216; BENB I/2, 75f.). Das kleine Quartier Goleten lag unterhalb der obersten Biegung des Aargauerstaldens
Löchligut: Grosses Landgut nordöstlich des Wylerholzes (Weber 1976: 150). Belege: 1838 Löchli, Landgut m. zwei Gebäuden, dem Burger-Spital gehörend (D II, 206), 1870 Löchli (TA)
Zu schwzd. Loch ‹Loch, Öffnung›, als Flurnamne ‹Bodenvertiefung, enger Durchgang, Abgrund, Schlucht› (Id. III, 1016ff.; BENB I/3, 129ff.).
Löchu,Lorraineloch, auch nur Loch. Bezeichnung des tiefen Einschnitts am Nordwestrand der Lorraine und der nördlich anschliessenden Jurastrasse (Weber 1976: 151).
Beleg: 1870 im Loch (TA). Zu schwzd. Loch ‹Loch, Öffnung›, als Flurname ‹Bodenvertiefung, enger Durchgang, Abgrund, Schlucht› (Id. III, 1016ff.; BENB I/3, 129ff.).
Lorraine: Der Quartiername Lorraine geht wohl auf die gleichlautende Bezeichnung eines Herrensitzes zurück: Diesen soll der in französischen Diensten stehende Infanteriehauptmann Joh. Steiger nach dem Kauf des Kleinen Wylerguts 1637 Lorraine benannt haben, wahrscheinlich nach der Landschaft Lorraine (Lothringen) (Weber 1976: 151; BENB I/3, 147f.). Die Deutung von Lorraine als I dr Lohr äne (eine Häusergruppe auf dem Breitenrain hiess vor 1800 Lohr, Weber 1976: 150) ist aus lautlichen Gründen abzulehnen (BENB I/3, 147f.).
Lohr: Schwzd. Loore f. ‹ein Haufe zusammengelesener Steine, steiniges Land› (Id. III, 1374; BENB I/3, 145ff.)
Militärplatz: Heute Guisanplatz; benannt nach General Henri Guisan
Moserstrasse: benannt nach dem abgegangenen Moser-Gut
Optingen:
Häusergruppe im Nordwestteil des Spitalackers. Der Name ist seit Ende des 18. Jh. nicht mehr in Gebrauch (Weber 1976: 185). Erstbeleg: 1264 in Optingen (FRB II, 609, Nr. 562).
Zu Opt verkürzter althochdeutscher Personenname Opelt/Opert, mit dem Zugehörigkeitssuffix -ingen. Der Name bedeutete ursprünglich ‹bei den Leuten, bei der Sippe des Opelt/Opert› (BENB I/4, 98)
Oranienburg: nach einer gleichnamigen abgegangenen Villa benannt, dessen Erbauer im 18. Jh in holländischen Diensten gestanden hatte
Promer: bekieste Promenade zwischen Lorrainestrasse und Gewerbeschule
Pulverweg: benannt nach früherem Pulver-Magazin im Galgenfeld; heisst seit 1962 Mingerstrasse; benannt nach alt Bundesrat Rudolf Minger
Rabbental: Erstbeleg: 1529 Rappenn thal (Urbar der Zinsen und Zehnten, dem Hause Köniz zuständig; Bern III, Nr. 1, Staatsarchiv Bern, 111). Das Grundwort ist schwzd. Tal ‹Tal, Talboden, Talebene› (Id. XII, 1303ff.). Das Bestimmungswort entweder zur Tierbezeichnung schwzd. Rappe(n) m. ‹Kohlrabe, Bergrabe; grössere Rabenarten, teilweise auch Krähe› (Id. VI, 1168ff.), also ‹Talboden, wo Raben, Krähen hausen›, oder zum Familiennamen Rapp, der in Ins, Brüttelen, Gampelen, Bern und Köniz alt belegt ist (FNB IV, 348; Ramseyer Dok.), in diesem Fall also ‹Tal/Talboden im Besitz einer Person namens Rapp›.
Rodtmattstrasse: Strasse zwischen Scheiben- und Parkstrasse, angelegt 1895, zunächst Rodtmattweg, zum im 19. Jh. gebräuchlichen Flurnamen Rodtmatt. 1901 Umbenennung zu Rodtmattstrasse (Weber 1990: 250f.). Zum Farbadjektiv rot (Id. VI, 1737ff.) oder zum Familiennamen Roth (FNB IV, 428ff.).
Rosengarten: Das 1751 als Ersatz für den oberen Teil des Klösterlifriedhofs erworbene Areal diente 1765-1877 als Friedhof der unteren Stadt. Seit 1913 ist der Rosengarten eine öffentliche Gartenanlage mit Rosen (Weber 1976: 204). Beleg: 1838 Rosengarten, Friedhof mit 1 Wohnhaus (D II, 276). Schwzd. Rosegarte ‹mit Rosen bepflanzter Garten; Kirchhof, Friedhof; Versammlungsplatz; Kampfplatz› (Id. II, 437f.).
Sandflue:
Beim Bau des Aargauerstaldens überschütteter Sandsteinfelsen südwestlich des Rosengartens. Im unteren Teil wurde bis ins 18. Jh. Sandstein gebrochen (Weber 1976: 208).
Belege: um 1420 sin reben uf der santflu (C. Justinger, Berner Chronik, 187), 1539 Ein werschafft stuck stein vs der Sanntflu (Berner Rechtsquellen. Erster Teil: Stadtrechte. Bd. I u. II: Das Stadtrecht von Bern, 631/4).
Schänzli: Herkunft vom Schanzenbau (Befestigungsmauern); Diminutivbildung mit dem Suffix schwzd. -li zum Wort schwzd. Schanz f. ‹Befestigung aus aufgeworfener Erde, Schanze im militärischen Sinne›, vgl. mittelhochdeutsch schanze f. ‹Schutzbefestigung› (Id. VIII, 981ff.; DWB VIII, 2162ff.; Lexer II, 658).
Schärerstrasse: benannt nach dem abgegangenen Schärer-Gut
Spitalacker: Schwzd. Spitaal, älter Spittel m./n. ‹Spital, Anstalt zur Aufnahme, Verpflegung und Versorgung von Hilfsbedürftigen: körperlich oder geistlich Kranken, Gebrechlichen, Armen, Waisen, Obdachlosen, Pilgern, Bettlern› (Id. X, 604ff.). Ehemaliger Landbesitz des Burgerspitals (Weber 1990: 279f.).
Totenwägli: schmaler Stieg entlang der Nagelfluh im Wylerholz; Name wohl von seiner Gefährlichkeit wegen
Viktoria: Schänzlistrasse 65. Das ehemalige Hotel Viktoria wurde 1896 Privatspital. 1906 entstand der heutige Bau (Sonnenbergstrasse 14). An der Stelle des alten Hauptgebäudes steht seit 1963 das neue Personalhaus (Weber 1976: 258).
Viktoriaplatz (Weber 1990: 306): Der 1892 erstmals vorgesehene Viktoriaplatz erhielt seinen Namen 1894 nach der Viktoriabesitzung (Schänzlistrasse 65; zuerst Hotel und Kurhaus, seit 1896 Privatspital). Verwaltungsgebäude der BKW 1915/16 erbaut.
Waldhöheweg: Benannt nach einem Hügel südlich des Breitenrainplatzes mit früher auffallenden Nadelbäumen
Wankdorf: Erstbeleg: 1180 Wancdorf (FRB I, 464, Nr. 69). Zu althochdeutsch wang m. ‹Feld, Wiese›. Das entsprechende, kaum mehr gebräuchliche Wort schwzd. Wang m./n. bedeutet im Alpenraum ‹begraster, meist steiler Berghang›, im voralpinen Raum ‹leicht geneigte Grasfläche› (Id. XVI, 650ff.; Id. XIII, 1493; Schützeichel 2006: 396; Zinsli 1984: 589). Wankdorf ‹Dorf auf dem Feld, auf der Grasfläche›.
Wyler: Zu schwzd. Wi(i)ler m. ‹Weiler, Dorf›, das auf althochdeutsch wîlâri, Lehnwort aus spätlateinisch/romanisch villare ‹Gehöft, Gutshof›, zurückgeht (Id. XV, 1258ff.; DWB XIV/I/1, 814ff.).
Literaturangaben
BENB = Ortsnamenbuch des Kantons Bern [Alter Kantonsteil]. Bd. I: Dokumentation und Deutung. 1. Teil: A-F. Hg. von Paul Zinsli in Zusammenarbeit mit Rudolf Ramseyer und Peter Glatthard. Bern 1976. 2. Teil: G-K/CH. Hg. von Paul Zinsli und Peter Glatthard in Zusammenarbeit mit Rudolf J. Ramseyer, Niklaus Bigler und Erich Blatter. Bern 1987. 3. Teil: L-M. Hg. von Thomas Franz Schneider und Erich Blatter, erarbeitet vom Redaktorenteam der Forschungsstelle 'Berner Namenbuch', Erich Blatter, Erika Derendinger et al., unter der Leitung von Elke Hentschel. Basel/Tübingen 2008. 4. Teil: N-B/P. Hg. von Thomas Franz Schneider und Erich Blatter. Erarbeitet vom Redaktorenteam der Forschungsstelle 'Berner Namenbuch': Erich Blatter, This Fetzer, Roland Hofer, Thomas Franz Schneider, Inga Siegfried, unter der Leitung von Elke Hentschel. Basel/Tübingen 2011.
D = Durheim, C[arl] J[akob]: Die Ortschaften des eidgenössischen Freistaates Bern. Verzeichnis der Städte, Flecken, Pfarr- und anderen Dörfer [...] der Bevölkerung nach der letzten Zählung, der Schulkommissariats- und der Militär-Kreise. Bd. I: Verzeichnis nach den Amtsbezirken usw. (1838). Bd. II: Register der Ortschaften und Alpen (1838). Bd. III: Supplement (1845).
DWB = Grimm, Jakob und Wilhelm u.a.: Deutsches Wörterbuch. 16. Bde. Leipzig 1854-1960.
FNB = Familiennamenbuch der Schweiz. 6 Bde. Zweite, erweiterte Auflage. Zürich 1968.
Förstemann = Förstemann, Ernst: Altdeutsches Namenbuch. Bd. I: Personennamen. 2. Aufl. Bonn 1900. Nachdruck München/Hildesheim 1966. Bde. II/1 u. II/2: Orts- und sonstige geographische Namen (Völker-, Länder-, Siedlungs-, Gewässer-, Gebirgs-, Berg-, Wald-, Flurnamen und dgl.). 3. Aufl. Bonn 1913. Nachdruck München/Hildesheim 1967.
FRB = Fontes Rerum Bernensium. Berns Geschichtsquellen. 10 Bde. Bern 1877-1956.
Id. = Schweizerisches Idiotikon.Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache. Begonnen von Friedrich Staub und Ludwig Tobler, fortgesetzt unter der Leitung von Albert Bachmann, Otto Gröger, Hans Wanner, Peter Dalcher, Peter Ott und Hans-Peter Schifferle. Bd. Iff. Frauenfeld 1881ff.. Quellen- und Abkürzungsverzeichnis. 3. Aufl. Frauenfeld 1980. Alphabetisches Wörterverzeichnis zu den Bänden I-XI. Bearb. von Niklaus Bigler. Frauenfeld 1990.
Lexer = Lexer, Matthias: Mittelhochdeutsches Handwörterbuch. 3. Bde. Leipzig 1872-1878: Hirzel. Nachdruck Stuttgart 1970.
Huber 1931 = Huber, C.: Die Urkunden der historischen Abteilung des Stadtarchivs. Thun 1931.
Ramseyer Dok. = Personennamensammlung von Rudolf J. Ramseyer, unveröffentlicht. Staatsarchiv Bern, Signatur: N R. Ramseyer 15-25.
Schützeichel 2006 = Schützeichel, Rudolf: Althochdeutsches Wörterbuch. 6. Auflage, überarbeitet und um die Glossen erweitert. Tübingen 2006: Max Niemeyer.
TA = Topographischer Atlas der Schweiz im Massstabe der Originalaufnahmen 1:25000 und 1:50000 (Siegfried-Atlas). Hg. vom Eidgenössischen Topographischen Bureau. Bern 1870ff.
Weber 1976 = Weber, Berchtold: Historisch-topographisches Lexikon der Stadt Bern in ihren Grenzen vor der Eingemeindung von Bümpliz am 1. Januar 1919. Bern 1976 (= Schriften der Berner Burgerbibliothek 11).
Weber 1990 = Weber, Berchtold: Strassen und ihre Namen am Beispiel der Stadt Bern. Bern 1990.
Zinsli 1984 = Zinsli, Paul: Südwalser Namengut. Die deutschen Orts- und Flurnamen der ennetbirgischen Walsersiedlungen in Bosco-Gurin und im Piemont. Bern 1984.